Namibia spielt Bäumchen-Wechsel-Dich
(Published in Namibian & German Print Media in January 2003)
In den vergangenen Monaten haben viele deutschstämmige Namibier mehr telefoniert als sonst. Verwandte oder Freunde in Deutschland erkundigten sich immer wieder besorgt, wie es ihnen gehe und ob sie nun planten, die ehemalige deutsche Kolonie zu verlassen. Anlass waren Berichte in deutschen Zeitungen über Pläne der namibischen Regierung, die Bodenreform zu beschleunigen und nun auch damit zu beginnen, Farmen zu enteignen. Die “Welt” etwa titelte im Oktober: “Namibier wollen Deutsche verjagen”, und der “Spiegel” schrieb i November von einer “Vertreibung aus der Savanne”. Tenor: Den deutschen Farmern in Namibia drohe ein ähnliches Schicksal wie den Briten in Simbabwe.
Doch in Namibia sitzen weder Deutsche noch deutschstämmige Namibier scharenweise auf gepackten Koffern. Von Farmbesetzungen wie in Simbabwe keine Spur. Noch keine Enteignung in Sicht. Und Forderungen nach Konfiszierung werden von der Regierung nach wie vor ignoriert. Sind die Berichte also völlig aus der Luft gegriffen?
Das nicht. Aber Spiegel-Reporterin und Welt-Korrespondent wollen auch leben und müssen sich dem Diktat der Medienwelt beugen: Ein zuspitzender Bericht wird eher abgedruckt als eine nüchterne Analyse. Grund genug, diese Berichte zu hinterfragen: Ist die Bodenreform wirklich “verpatzt” und die Regierung “unfähig”, wie behauptet? Was heißt “verpatzt”? Wird kein Land umverteilt? Oder wird mit der Umverteilung nicht erreicht, was beabsichtigt wurde? Sucht die Regierung nun Sündenböcke oder versucht sie, nachzubessern – wie jede Regierung, deren Maßnahmen nicht richtig greifen?
Schon die fünfte Bodenreform
Aber vor allem: Warum überhaupt eine Bodenreform? Dafür ist ein kurzer Ausflug in die Geschichte nötig, bei dem man feststellt: Die Swapo-Regierung (South West African Peoples Organisation) ist nicht die erste Instanz, die hier eine Bodenreform durchführt. Im 18. bzw. 19. Jahrhundert ziehen Herero von Norden und Nama von Süden in das Gebiet und vertreiben die San (Buschleute). Ende des 19. Jahrhunderts verkaufen Herero und Nama europäischen Siedlern einen Teil des Landes oder “bezahlen” damit Gewehre und andere Waren weißer Händler; das deutsche Kaiserreich konfisziert das Land nach den Kriegen gegen diese Volksgruppen 1904 bis 1907 in großem Stile und verkauft es zu günstigen Bedingungen an deutsche Siedler. 1919, nach dem I. Weltkrieg, weist die Besatzungsmacht Südafrika viele deutsche Farmer aus und lockt südafrikanische Siedler in das Mandatsgebiet. Und in den Sechziger Jahren enteignet die südafrikanische Verwaltung im Rahmen des so genannten Odendaal-Planes weiße Farmen, legt sie zu Reservaten wie Herero-, Damara- oder Namaland zusammen und weist sie den entsprechenden Völkern zu – ähnlich den “Homelands”, die Südafrika im Zuge der Apartheid im eigenen Land bildet. In den Städten entstehen ethnisch getrennte Vororte. Begleitet wird die Landpolitik von einer bevorzugten Entwicklung der “weißen” Gebiete und Ortsteile.
Die nördlichen Gebiete Namibias dagegen werden von den Umverteilungen verschont und bleiben in der Hand der dort lebenden Völker wie Ovambo oder Kavango. Sie liegen an fließenden Gewässern und sind überwiegend von höherer Qualität als das von Europäern besiedelte Gebiet, wo es kaum Oberflächenwasser gibt und weniger Regen fällt. So eignet sich der größte Teil des “weißen” Landes nicht für Ackerbau, sondern nur für Rinderhaltung oder Kleinviehzucht – ein wesentlicher Unterschied übrigens zu Simbabwe.
Dennoch: Als Namibia 1990 unabhängig wird, ist es geprägt von ungleich entwickelten Gebieten und großen Einkommensunterschieden; die Kluft ist weit größer als die zwischen den alten und den neuen Bundesländern Deutschlands. Die Landverteilung in Zahlen: Etwa 4.500 kommerzielle Farmer besitzen rund 33 Mio. ha Nutzfläche, während rund 150.000 Haushalte sich weitere 33 Mio. ha kommunalen Landes teilen.
Mit Umverteilung Unrecht beseitigen?
Vor diesem Hintergrund zeichnen sich mögliche Motive und Ziele einer Bodenreform in Namibia ab:
– begangenes Unrecht wieder gutmachen
– die Kluft zwischen Arm und Reich vermindern
– die kommunalen Gebiete entlasten.
Das historische Unrecht führen sowohl Swapo-Politiker als auch Vertreter der Herero gerne ins Feld – die einen, um als Sprachrohr der Ovambo die Umverteilung zu rechtfertigen, die anderen, um die Rückgabe ihres Landes zu fordern, das von der deutschen Kolonialmacht konfisziert wurde. Doch erweist es sich in beiden Fällen als wenig stichhaltig: Denn den Ovambo ist in der Kolonialzeit kein Quadratmeter ihres Landes genommen worden, und die Herero bleiben eine überzeugende Antwort auf die Frage schuldig, warum man denn nicht einen Schritt weitergeht und das ganze Land den San zurückgibt.
Überzeugender ist das zweite Motiv, mit der Bodenreform die ererbte Ungleichheit zu vermindern und damit den sozialen Frieden zu sichern. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Umverteilung des Farmlandes ein geeignetes Mittel ist. Das dritte Ziel genießt aus Sicht der Swapo-Regierung oberste Priorität, hängt es doch untrennbar mit ihrem Eigeninteresse zusammen. Im Norden Namibias lebt das Volk der Ovambo, das mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellt und zur Zwei-Drittel-Mehrheit der Swapo im Parlament maßgeblich beiträgt. Da die zu bewirtschaftende Fläche dort besonders knapp ist, muss die Regierung neues Land in Aussicht stellen, will sie an der Macht bleiben.
Soweit die rationalen Motive. Viel wichtiger erscheint jedoch ein emotionaler Beweggrund, den der Swapo-Politiker und Minister Ben Amathila so formuliert: “Solange das Land bei der weißen Volksgruppe bleibt, haben wir das Gefühl, dass wir nicht unabhängig sind.” Schwarze Politiker der oppositionellen DTA (Democratic Turnhallen Alliance) stimmen ihm zu. So verabschiedet das Parlament 1995 ein Gesetz zur Bodenreform, das auf die Umverteilung weißen Farmlandes an landlose schwarze Kleinfarmer zielt…